Sonntag, 7. April 2013

Augen auf und durch

Über mangelndes öffentliches Interesse kann sich Google hinsichtlich seines neuesten Großprojektes sicher nicht beschweren. Die Arbeit an der Datenbrille Glass steckt derzeit noch in den Kinderschuhen. Nur wenige Auserwählte, sogenannte Glass Explorers, dürfen sie tragen, um mit ihren Erfahrungen zur Marktreife beizutragen. Dennoch gibt es schon jetzt Vorschusslorbeeren - unter anderem vom "Time Magazine", das Glass zu den "Best Inventions Of The Year 2012" zählte. Die Datenbrille erweitert die Sichtweise des Trägers auf die Welt - mit diversen Zusatzinformationen und multimedialen Interaktionsmöglichkeiten. "Wearable Computing" und "Augmented Reality" sind zwei neudeutsche Schlagworte, die Glass beschreiben könnten. Verständlicher ausgedrückt: Glass ist die Suchmaschine im eigenen Kopf, das soziale Netzwerk auf der Nase.

Möglich macht das ein dezentes, mit Hightech vollgestopftes Rechteck vor dem rechten Auge, welches nicht nur eine Kamerafunktion bietet, sondern auch digitale Informationen im Sichtfeld des Glass-Trägers einblendet. Semitransparent oder am Rand des Blickfelds natürlich, schließlich sollen dem User nicht die für die Fortbewegung nötigen visuellen Eindrücke genommen werden. Die Verkehrssicherheit ist, zumindest für Fußgänger, also gegeben.

Die Manövrierfähigkeit von Glass-tragenden Passanten ist allerdings die geringste Sorge von Kritikern. Angeprangert wird unter anderem, dass Glass es erlaubt, Videos und Fotos aufzunehmen und diese ohne Einverständnis der Gefilmten quasi in Echtzeit zu verbreiten. Menschen, die dem globalen Datensammler Google schon zuvor skeptisch gegenüber standen, fürchten zudem, die Nutzer könnten von Google als menschliche Überwachungskamera missbraucht werden - als Street View auf zwei Beinen.

Ob Google Glass ein wahrgewordener Science Fiction-Traum oder ein Albtraum für den Datenschutz sein wird, lässt sich vorerst genauso schwer beantworten wie die Frage, ob ein Glas(s) halb voll oder halb leer ist. Bleiben also zunächst die Fakten. Und die sind alles andere als nüchtern: Kosten soll der Spaß rund 1.500 US-Dollar (ca. 1.154 Euro). Das Design würden Modebewusste wohl als "stylish" umschreiben. Vier moderne Farben sollen für das Gestell zur Wahl stehen. Das Material ist, so Google, "leicht und robust" zugleich.

So futuristisch wie das Aussehen wird auch die Funktionalität sein. Ein Glass-Träger muss nur die magischen Worte "Ok Glass, nimm ein Video auf" aussprechen, und die Brille wird zur Videokamera. Was man gerade erlebt, kann mit anderen sofort geteilt werden. So wird beispielsweise der Freundeskreis Augenzeuge des ersten Fallschirmsprungs oder die Großeltern sehen per Liveschaltung an den Urlaubsstrand, wie das Wetter am anderen Ende der Welt wirklich ist. Es ist außerdem möglich, per Sprachsteuerung nach Bildern zu googeln.

Wer beispielsweise einen Elefanten malen möchte, sagt "Ok Glass, googel nach Elefanten-Fotos", und prompt tauchen Dickhäuter-Bilder zur Inspiration rechts oben im Sichtfeld auf. Auch Videochat wie mit einer Webcam ist möglich. Nur, dass die Webcam einen nicht am Schreibtisch zeigt, sondern der Empfänger das, was man gerade tut, aus dem eigenen Blickwinkel sieht - beispielsweise wenn man mit dem Mountainbike ins Tal rast oder einem Haifisch Auge in Auge gegenüber schwimmt (Googles Videos suggerieren, dass Glass wasserdicht ist).

Auch als Simultan-Übersetzer lässt sich die Brille einsetzen ("Ok Glass, googel nach 'hallo' auf Chinesisch") sowie als Navi und Informationsquelle. Wenn man gerade unter dem Eiffelturm steht, wäre es beispielsweise möglich, die Brille zu fragen: "Ok Glass, wie hoch ist der Eiffelturm?" Zudem liest das High-Tech-Accessoire E-Mails oder die "New York Times" vor. Auch ein Patent auf die Steuerung von Haushaltsgeräten wurde soeben beantragt.

Was bleibt, ist die Frage, ob technophile Early Adopter die Welt durch die rosarote Brille oder ob die Kritiker zu schwarz sehen. Wird Glass eine Revolution des digitalen Zeitalters einläuten oder nur das nächste Lifestyle-Gadget der Saison sein? Oder lässt Glass uns zur Mensch-Maschine mutieren?

Letzteres befürchtet die Initiative "Stop The Cyborgs". Dahinter steckt nicht etwa eine Gruppe schrulliger Verschwörungstheoretiker, die nebenbei die amerikanische Mondlandung oder die Existenz von Bielefeld anzweifeln, sondern - laut Selbstaussage - ein Herr namens Adam von der Uni London, der selbst beruflich mit Augmented Reality zu tun hat. Seine düstere Zukunftsvision: Glass könnte dafür sorgen, dass wir Menschen noch oberflächlicher beurteilen, als wir es ohnehin schon tun - nicht nur nach dem Äußeren, sondern nach eingeblendeten Google-Informationen über das Gegenüber. Auch was Google mit den gesammelten Daten machen wird, bleibt laut Adam völlig im Dunkeln.

Eines lässt sich auf alle Fälle entkräften: Die Vermutung, Google Glass könnte der wahrgewordene Traum jedes Spanners werden. Denn auffälliger als die Cyber-Brille könnte eine Kamera kaum sein. Auch die Notwendigkeit, die Cam per Sprachsteuerung zu aktivieren, macht einen voyeuristischen heimlichen Dreh relativ schwer. Offiziell lautet Googles Antwort auf Fragen zu den Grenzen der Anwendung von Glass: "Wir erwarten, dass sich die entsprechenden Verhaltensweisen und sozialen Normen mit der Zeit entwickeln werden, so wie es bei anderen neuen Technologien auch der Fall war." Das Argument lässt sich von Kritikern nicht einfach wegwischen. Die Diskussion über die Möglichkeit des heimlichen Filmens und Fotografierens ist nämlich nicht neu. Sie entstammt der Zeit der ersten Fotohandys - was, in digitalen Jahren gemessen, vor Urzeiten war.

 


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